Intervention im Oberen Belvedere

In seiner künstlerischen Praxis inszeniert Gerold Tusch (* 1969 in Villach) historisches Formenrepertoire aus einem zeitgenössischen Verständnis heraus. Besonders häufig findet er seine Bezugspunkte in den dekorreichen Epochen des Barock und Rokoko. Ornamentale oder dekorative Elemente, wie Prunkvasen, Arabesken, Rocaillen und vielfältige florale und vegetabile Elemente, werden aus ihrem Kontext gelöst und isoliert auf ihre formale und inhaltliche Wirkung geprüft, beziehungsweise gestalterisch, als Aneignung oder Zitat, eingesetzt. Tusch führt die etwas überholten Genres des Dekors und Kunsthandwerks, welche naturgemäß zumeist eine Nebenrolle in der Kunstgeschichte einnahmen, einer gesteigerten Aufmerksamkeit zu. Er erklärt diese zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Reflexionen und entwickelt daraus starke eigenständige Positionen. Charakteristisch für die Ausführung seiner Arbeiten ist der Einsatz von glasierter Keramik. Ton ist, so Gerold Tusch, der ideale Werkstoff um seine Ideen zu realisieren und es ist in diesem Zusammenhang zu betonen dass alle Produktionsschritte vom Künstler mit großer Kunstfertigkeit selbst durchgeführt werden. Für das Belvedere hat der Künstler die Herausforderung angenommen eines seiner größten und bestimmt auch technisch anspruchsvollsten Projekte umzusetzen.

Zur Intervention:
Für die Intervention im Oberen Belvedere hat sich der Künstler Gerold Tusch intensiv mit dem Formenrepertoire barocker Bauplastik auseinandergesetzt. Er unterzieht tradierte Formen aus dem Bereich des Dekors, die im Dienste von Repräsentation und Glorifizierung stehen, einer Neuverhandlung und Umwidmung. So werden zum einen Stuckwolken, die als Dekor oftmals die Pracht barocker Kirchenräume erhöhen sollen, in eine neue künstlerische Form überführt. Zum anderen erleben barocke Prunkvasen eine neue Ausrichtung. Aneignung und Verfremdung stellen dabei zentrale Begriffe in seiner künstlerischen Praxis dar. Mit dem Zugang zur Empore der Schlosskapelle sowie der Prunkstiege hat der Künstler zwei markante Stellen innerhalb der barocken Schlossanlage des Belvedere als Orte für sein "künstlerisches Eingreifen" gewählt.

Mit "Gloria II", einem großflächigen silberfarbigen Wolkenobjekt, wird also der Zugang zum ersten Stock der Schlosskapelle versehen und somit eine Verbindung mit Wolkenmotiven des Altarbildes von Francesco Solimena und dem Deckengemälde der Kapelle von Carlo Innocenzo Carlone hergestellt. Mit dem Sujet der Wolke greift Tusch gezielt ein bedeutendes Element der Barockmalerei- und Skulptur auf. Im Kontext der Darstellung der Apotheose, der Überwindung des irdischen Lebens und der Aufnahme in den transzendenten Raum, nimmt die Wolke eine zentrale Rolle ein. Als konkrete Visualisierung des Himmels verleiht sie einem abstrakten Thema Anschaulichkeit. Durch das Zitat der Wolke in unmittelbarer Nähe zum himmlischen Raum der Kapelle wird es zu dessen zeitgemäßer Entsprechung und Erweiterung. Mit dem Titel "Gloria", der lateinische Bezeichnung für Ruhm, verweist der Künstler zudem auf einen Hintergrund der Prachtentfaltung barocker Kirchen, die der Glorifizierung Gottes dienen und sein Reich auf Erden repräsentieren sollten.

Auf eine bereits bestehende Serie zurückgreifend hat der Künstler Vasenobjekte mit dem Titel "Die drei Gorgonen" für die beiden freistehenden Nischen der Prunkstiege, links und rechts vom Eingang zum Marmorsaal, entworfen. Schon seit Mitte der 90er Jahre stellen barocke Prunkvasen den Ausgangspunkt zahlreicher Arbeiten dar. Die Vase ist in der barocken Anlage zierendes Nebenprodukt im repräsentativen Gefüge. Bei Gerold Tusch emanzipiert sie sich aber zur selbstständigen Protagonistin. Der Künstler betitelt die Vasenobjekte schlicht "Die drei Gorgonen", also nach jenen Schlangenhaar tragenden Schreckgestalten der griechischen Mythologie, deren bloßer Anblick zu Stein erstarren lässt. Durch das Thema der Gorgonen wird eine inhaltliche Einschreibung in die thematische Ausrichtung der Prunkstiege möglich, welche dem antiken Feldherrn Alexander des Großen gewidmet ist. So kam im Hellenismus die Überlieferung auf, dass die Gorgone ursprünglich die Schwester Alexanders des Großen sei. Als im Meer lebende Nixe, richte sie die Frage ob Alexander noch lebt an die Besatzung jedes vorbeikommenden Schiffes. Nur die Antwort "Er lebt und herrscht als König!" bewahre die Seeleute davor in die Tiefen gerissen zu werden.
Interessanterweise hat Gerold Tusch schon Jahre vor der Intervention seine ersten "Gorgonenvasen" ausgeführt. Durch die Möglichkeit der Übertragung dieser Konzeption in den inhaltlichen Kanon der Prunksteige, erleben die Objekte aber eine völlig neue Kontextualisierung und Aufladung. Zur Zeit des Erbauers des Schlosses Prinz Eugen war die Prunkstiege zentraler Schauplatz des Empfangszeremonielles. Ihre üppige Bauplastik verdeutlicht nur zu gut den Stellenwert ihrer Repräsentationsaufgabe im Dienste der totalen Selbstinszenierung. Die Prunkstiege sollte dem Besucher die Pracht und Größe des Schlossherrn vergegenwärtigen und wurde als "Kriegs- und Siegeslager" eines zweiten Alexander des Großen interpretiert, als der sich Prinz Eugen tatsächlich verstand. So zeigen die Stuckreliefs der Prunkstiege Szenen aus dem Leben Alexander des Großen.
Für die gestalterische Umsetzung der Drei Gorgonen folgt Gerold Tusch mit den Schriften Hesiods einer Quelle, welche von drei Gorgonen spricht, und wählt die Dreizahl für die skulpturale Ausarbeitung der Gorgonenvase, was einen spannenden Bruch in der Symmetrie der barocken Anlage zur Folge hat. Tusch lässt zudem eine klare Zuordnung der Medusa zu: Die einzige sterbliche der drei Gorgonen befindet sich in der linken Nische, während sich die beiden anderen, der Mythologie folgend also Euryale und Stheno die rechte teilen. Ein herausgebrochenes Fragment der Medusenvase lässt sich als Verweis auf deren Sterblichkeit lesen.

Es ist ein besonders spannender Aspekt dass Tusch seine Prunkvasen eine nahezu organische Verwandlung erleben lässt. Aus den Vasen quellen und wuchern schlangenartige Formationen, die klar eine Assoziation zu den Schlangenhäuptern der Gorgonen hervorrufen. Sind diese Formationen in früheren Versionen der Gorgonenvasen noch als spielerische Fusion von Schlangenhaar und Barock- bzw. Rokokoperücken zu erkennen, so werden sie hier zu irritierenden Elementen. Die auf Repräsentanz und Ästhetik abzielende Prunkvase ist bewusst verfremdet.
Tuschs Motive hinterfragen hier die kollektive Vorstellung eines verschönernden Dekors. So sagt er selbst über seine Arbeit: "Ich weiß weder, was das Schöne oder das Schönere ist, noch will ich etwas verschönern. Die Resultate meiner Arbeit sehe ich als Reflexionen über Vermittlung und Transformation der Vorstellung vom Schönen ... Begründungen und Bedingungen dafür sollen durch die glatte Oberfläche meiner Objekte scheinen, für die mir anziehenden Qualitäten ebenso wichtig sind wie das Abstoßende."
Die Wechselwirkung zwischen anziehendem und abstoßendem Stimulus führen zur Ambivalenz bei der Betrachtung. So sind auch die Wolkenformationen bei genauerer Betrachtung weniger edel und formschön als ihr Ursprung und ihre Materialität es vordergründig suggerieren könnten. Tuschs Formfindungen lastet häufig etwas Degeneriert-Üppiges an. Mit einer gezielt missbräuchlichen Verwendung und Umwidmung von Formen, die das Potential der Irritation und Ironie einschließt, wird der Betrachter in die Irre geführt.
Der Schein trügt also. Auch wenn der Künstler mit großem Selbstverständnis leerstehende Nischen mit zeitgemäßen Paraphrasen von Prunkvasen bespielt und so eine historisch richtige Rückführung vermuten lässt. Denn in den Nischen befanden sich niemals Prunkvasen, sie waren ursprünglich für die Aufstellung von Statuen von Apoll und Diana vorgesehen. Diese wurden aber entfernt und bis heute sind die Nischen leer geblieben. Diese Leerstelle wird nun von Tusch "gefüllt" und somit die Erwartungshaltung an das barocke Umfeld und das damit einhergehende Bedürfnis an Repräsentationsobjekten entlarvt.

Tuschs Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt, welche zumeist eine "white cube"-Situation vorwiesen. Wenn der Künstler historisches Formenrepertoire aus einem zeitgenössischen Verständnis neu inszeniert, ergibt sich im Fall der Intervention im Barockschloss Belvedere aber eine spezielle Situation: die von ihrem historischen Kontext freigestellten und emanzipierten Elemente werden hier zu ihrem formalen Ausgangspunkt zurückgeführt und mit diesem konfrontiert - die Resultate einer Reflexion über barocke Formen und deren Aufgaben treten hier auf Barock in seiner höchsten Form. Gerold Tuschs Arbeiten für das Obere Belvedere bauen im Sinne einer Intervention, also eines tatsächlichen Eingriffs, auf einem formal-funktionalen aber auch räumlichen und farblichen Kontrast auf. Es sind Verschiebungen in Form und Funktion, Farbigkeit und Materialität, sowie Dimension und Symmetrie innerhalb des barocken Ensembles, die Sehgewohnheiten sowie Vorstellungen und Erwartungen an das Dekorative prüfen möchten.


Véronique Aichner, 2013