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Und es gab nicht nur heilige Leiber, ganze Kronleuchter hat man aus Gebein von Verblichenen hergestellt und sogar Decken- und Wandstuckaturen hat man aus Knochen zusammengesetzt. Unweit der Via Veneto in Rom gibt es da bekanntlich jene für uns, aber nicht für barocke Zeitgenossen Schauer erregende Gruft, in der unter der Knochenstuckdecke die von den Kutten halbwegs gestützten Skelette verblichener Kapuziner auf dem Boden kauern, auf einer Erde, die angeblich oder wirklich von Jerusalem nach Rom herübergeschafft worden war. 

Gerold Tusch nun hat diesem verknöcherten Zopfdekor eine neue, oft regelrecht biomorphe Sinnlichkeit gegeben, ihm Fleisch verliehen, eine gelegentlich fast polypen- und krakenhafte submarine Fischigkeit oder eine überquellende pflanzliche Fruchthaftigkeit, allein schon durch den Trick der Verlegung des klassischen Incarnats in den Bereich von Dekor und Rahmung. Von buchstäblichen Zöpfen, wie mit der Konditorspritze mit sozusagen schwarz gebranntem Schlagrahm aufgetragen, sind auch die vor uns stehenden Prunk-Vasen bedeckt. Würde man sie beiseite kämmen, würden uns wohl maskenhaft plattgedrückte Gesichtszüge von Gorgonenhäuptern anstarren und uns entsprechend erschrecken. Es gelingt also Gerold Tusch meisterhaft, seinen Keramikerzeugnissen eben gerade kein historistisches Denken zu hinterlegen, keinen Bildungskanonszitatanspruch oder sich mit einer ironischen Verfremdung alten Zopfes zu begnügen, worin die Kreise der geschichtseifrig Nachplappernden oft steckenbleiben. In diesen Vasen und keramischen Objekten in Zusammenhang mit der Zweckentfremdung des Kunsthandwerks der Polsterei steckt zuallererst Mythos, Poesie und auch Formenschatz der Gegenwart, des Hier und Jetzt, das eben auch gelegentlich mit  herumspukenden Gespenstern der Vergangenheit zu kämpfen oder Spiegelfechtereien mit ihr zu bestehen hat. 


Stefan Hirsch  (zur Eröffnung der Ausstellung „Barock me“ in Ostfildern 7/2009)