Das Vokabular der Versuchungen

Annähern ist naturgemäß auch immer wieder die Suche nach Entsprechungen. Annähern an die Kunst Gerold Tuschs ist für mich zuweilen die Recherche nach den Parallelen, nach den Übereinstimmungen von Werk und Person.
Selten funktioniert das bei anderen, selten ist ein Fäden-Ziehen von hier nach dort, vom Festgeschriebenen zum Lebendigen wirklich zufriedenstellend, tatsächlich befruchtend. Selten vernimmt man so entschieden die Aufforderung, in der Beschreibung des Werks die Figur, die dahinter (oder vielmehr mitten drin) steht, nicht auszusparen, nicht zu übergehen, nicht zu übersehen.
Natürlich besteht das künstlerische Werk Gerold Tuschs auch ohne ihn (während es nur mit ihm entstehen kann), natürlich ist es offen für Deutungen, die ihm der Künstler nicht zugeschrieben hat.
Aber wenn man ihn kennt, dann weiß man, dass das Werk auf ihn abfärbt (vielleicht sogar in jener Art, wie sich alte Ehepaare immer ähnlicher werden) und dass er – umgekehrt – sein Dasein in das Werk einschreibt.  
Nicht, dass seine künstlerische Arbeit eine Befindlichkeitsübung wäre, ein Auskunftgeben über seine Biografie. Das Zueinanderfinden ist subtiler, distinguierter: eher ein Schimmern des einen durch das andere, ein gegenseitig indirektes Abbilden, ein dialogisches Erforschen.
Entsprechen bedeutet in diesem Zusammenhang auch die Suche nach einem utopischen Moment im Gewühl der Ortlosigkeiten. Für beide (will man Werk und Künstler überhaupt als antipodische Einheiten annehmen) ist dieses Entsprechen-Müssen Auftrag.

Wie so viele seiner Generation reflektiert Gerold Tusch sein Künstler-Sein: das Manieristische der Berufsvorstellung hat sich verflüchtigt, der Künstler ist nicht mehr geniales, polterndes Individuum, das die bürgerlichen Ideale ideal zu personifizieren versteht, der Künstler ist vielmehr Arbeiter, der Fremdbestimmungen so gering wie möglich zu halten versucht, der aber gleichzeitig weiß, dass man dieses Maß an Unabhängigkeit durchwegs mit geringen Einkünften gleichsam erkauft. Gerold Tusch betrachtet diese Situation nüchtern: Der Preis für selbstgewählte Arbeit, für eine Arbeit außerhalb des Nachfrage-Angebot-Spiels ist die Verpflichtung, behutsamer konsumieren zu müssen.
Und dennoch (oder gerade deswegen): Die Dinge seines Alltags sind sorgfältig gewählt. Sie sind geschmackvoll. Mit jener Spur von Eigensinn, der eine Ahnung von mikroskopischer Extravaganz verrät.Leichtigkeit vermittelt sich in seiner Gegenwart, etwas ganz und gar Unprätentiöses. Gerold Tusch ist zurückhaltend ohne sich zurückzunehmen. In seiner Rede ist er vereinnahmend ohne sich als Eiferer zu zeigen. Als maßvoll würde ich ihn bezeichnen. Seine Vorlieben hat er wie ein Seiltänzer austariert. Nichts wirkt übertrieben. Dem Schrillen, Wichtigtuerischen und Großspurigen ist er abhold. Zwischentöne sind ihm wichtig. Als ausgewogen sehe ich ihn. Ein Mensch, der es versteht, die Extreme zu mildern, das in die Höhe Jagende zu dämpfen, das Abgründige zu beherrschen. Gerold Tusch ist höflich, dezent eitel. Würde ich ihm das Klischee einer Nationalität zuweisen müssen, würde ich die japanische als erste, die englische als zweite wählen.
Gerold Tusch ist ein Mensch der Form.

Die Keramik ist der ihm entsprechende Werkstoff. Das Langwierige des Herstellungsprozesses korrigiert das Attitüdenhafte künstlerischer Höhenflüge, die handwerkliche Fertigkeit (als Speicher manuellen Wissens) mildert das Impulsive, das Gestische, das Spekulative.
Gerold Tusch widersteht der Versuchung des Materials. Der leichten Verformbarkeit des Tons (und damit der Unzahl an möglichen Formen) setzt er eine dezidierte Vorstellung des Endprodukts entgegen. Er diszipliniert sich, indem er ausschließt und die Unentschiedenheit des Amorphen übergeht. Die Formen, denen Gerold Tusch folgt, sind Raum gewordene Zeichen. Überhöhter Dekor. Solitär gesetztes Ornament. Ein ausführliches Alpha¬bet von wollüstigen Schnörkeln und opulenten Zieraten. Kreuzungen von Natur- und Kulturformen. Organisch anmutende, höchst komplizierte Kommentare auch zur Kunstgeschichte, insbesondere zum Rokoko und seiner verschwenderischen, das Jenseits ins Diesseits verlagernden Fülle.
Die Formen schmeicheln sich den tastenden Händen entgegen, die Glasur warnt den Augensinn: Zerbrechlichkeit suggeriert letztendlich vielleicht nur mehr die Erinnerung.
Für den Betrachter erfahrbar wird die eigene Assoziationsbereitschaft, die Strategie der vorschnellen Aneignung. Die beredte Oberfläche der Kunst¬werke tritt in den Hintergrund. Ordnungswille verdrängt das Vertrauen in die Urteilskraft des Berührenden.
Spürbar bleibt das Wechselspiel von Annäherung und Distanzierung, spür¬bar bleibt die Turbulenz von sich in ihrer Ausrichtung ändernden Magnet¬feldern. Gerold Tuschs "Lust Objekte" müssen die Spannweite völliger Anziehung und bewusster Abweisung vermitteln, sonst wären sie keine Lust-Objekte.


Gottfried Goiginger, 2001