TONE, GLASUREN, BLENDWERKE
Das raum-greifende Ornament in der Kunst von Gerold Tusch

Es besteht nicht immer von vornherein eine klare Farbvorstellung vom Objekt, sagt Gerold Tusch, und Vielfarbigkeit ist in meiner Arbeit nicht erstrebenswert. Die einzelnen Objekte sind vorwiegend monochrom, die Wandobjekte unterscheiden nur dann zwei Farben, wenn ein Rankendes trägt, ein Geflochtenes verbindet, ein wie Arabesken oder Rocaillen Gebogenes rahmt, umrahmt oder ein anderes Material faßt, umfaßt, Spiegelflächen zum Beispiel oder Polsterungen, mit Samt überzogen, mit rotem, grünem, blauem oder braunem Samt, die rosa Farbe ist den Keramik-Objekten vorbehalten, weil Rosa so eine wichtige Farbe in meiner Arbeit ist, pinkfarbenes Rosa, fahles Rosa, verblichenes Rosa, hautfarbenes Rosa, unanständiges Rosa, in verschiedenen Schattierungen oder Stimmungen, die Schattierungen suggerieren verschiedene Stimmungen von Objekten, es kann so ein keramisches Objekt gut oder schlecht gestimmt auf seiner Polsterung liegen, ruhen, warten, manche wirken müde oder geschwächt, manche wach oder erwachend, gelassen oder vertraulich, nicht aufrecht, aber aufrichtig: zum Beispiel Mon petit poudrier, 2002, eine wandfüllende Applikation, sieben rosa glasierte Einzelformen, jede auf ihrer eigenen grünen Polsterung, diese in einer runden, grün glasierten Schale, wie ein Gefäß mit löffelförmigen Blütenblättern, die Gefäße an Stengeln mit weiteren, vereinzelten Blättern, die Stengel in kleinen und großen Schwüngen gebogen, zueinander, voneinander, manche von gerippten Manschetten gehalten, verlängert oder durch Gitterteile verbunden, manche mit krallenartigen, schneckenförmig gebogenen Zusätzen aus offenen Blasen begleitet, die gesamte, weit ausholende Gebärde ist grün glasiert und scheint allein deshalb ihre Bögen zu beschreiben, um die sieben rosafarbenen Einzelformen ausschweifend zu präsentieren, vier davon haben eine Öffnung, als wollten sie Gefäße sein, vier sind im mittleren Bereich des Arrangements gruppiert, die anderen allein am Rande, ihre jeweilige Identität ist ungewiß, aber mehrdeutig, es sind Vasen oder Lebewesen, Blütenteile oder Folterinstrumente, Einzeller oder Wurfgeschoße, Granaten oder Kreaturen, Amöben oder Rüsseltierchen, Obst oder Gemüse, Früchte oder Früchtchen. 

Meine Objekte sollen auf den ersten Blick prunkvoll wirken, auf den zweiten ein bißchen billig, sagt Gerold Tusch, er findet Blendwerk als passendes Wort dafür, Verblendung ist das Wesen des Dekorativen, es überzieht Dinge an der Oberfläche, der Betrachter soll merken, daß er hinters Licht geführt wird, daß er dahinter schauen muß, was die Qualität einer Dekoration nicht in Frage stellen darf, sondern nur das, wofür sie unter Umständen eingesetzt wird. Die Architektur und ihr Raum sind Motiv und Motivation in dieser Kunst, thematisiert werden aber nur Teile eines Raumes, Details einer Architektur, und die Kunstobjekte werden als Fragmente bezeichnet, was da alles dahinter stecken kann, bleibt der Betrachterin überlassen, das ist die Kunst des Rezipienten, eine Art Denkfolie muß in jedem Fall dazwischen Platz haben. Der Bereich eines Raumes wird gewissermaßen verkleidet, und er hat in diesem ihm auferlegten Outfit Repräsentationspflichten ungewisser Natur. Es wird eine seiner Wände zugedeckt von einer Scherenschnitttapete, und sie bildet auf diese Weise den pastellfarbenen Hintergrund für eine sprichwörtliche Gemütlichkeit: zum Beispiel make yourself comfortable, 2003, eine in warmem Beigeton gehaltene Wand mit appliziertem Schablonen-Ornament, an der Wand eine dunkelbraun gepolsterte Konsole, darauf liegend drei hautfarbene Paare aus Keramik, sie sind einander nicht unbedingt zugetan, ihre Größe ist handlich, ihre Nutzlosigkeit offensichtlich. Die offiziellen Ausstattungskategorien von Wohnungen unterscheiden die Zuordnungen zweckmäßig, wohnlich, gediegen und gehoben, dementsprechend begrenzen Versicherungen den Prozentsatz ihrer Polizzen. Ob die drei hautfarbenen Paare auf dunklem Samt derlei Kategorisierungen versinnbildlichen, könnte durchaus Inhalt einer Denkfolie werden, sie scheinen sich jedenfalls demonstrativ um solche Überlegungen nicht zu kümmern. Sie sind sich selbst überlassen, wirken weniger ausgestellt als liegen geblieben, und jede Partnerschaft beruht von vornherein auf einem mehr oder weniger glücklichen Zufall und kann jederzeit aufgehoben werden. 

Eine Idee zu einem bestimmten Objekt in einem bestimmten Raum konkretisiert sich nach und nach mit einer Menge von kleinen Skizzen auf Zetteln und in Skizzenbüchern, zugleich wird mit Hilfe des Fotoapparats Anschauungsmaterial gesammelt und abgezeichnet. Er schreibt mir dazu: Zeichnen ist vor allem Denken für mich. Manchmal ist etwas sehr leicht gezeichnet – es ist eine Herausforderung, diese Leichtigkeit hinüber zu retten in die Keramik. Im nächsten Arbeitsschritt wird nämlich der Entwurf auf große Papiere übertragen: Wenn ich zeichne, dann denke ich zugleich, wie ich das umsetzen, machen, realisieren kann. Schließlich wird eine Konstruktionszeichnung angefertigt, die das Objekt maßgerecht darstellt, sie ist um 10 Prozent größer als das Original letztlich sein soll, die Schrumpfung während des Trocknens und Brennens einberechnet. Auf dieser Vorzeichnung wird das Objekt gebaut und in – nach dem Durchmesser des Brennofens – bemessene Teile geschnitten. Eine andere Annäherung zum Entwurf sind Wortnotizen, und sie sind für die Erinnerung bestimmt, als wollte ich mir selbst einen Vorschlag unterbreiten. So heißt es zum Beispiel: Hängende, zu Girlanden aufgefädelte Teile könnten einmal interessant sein, oder: Große keramisch gerahmte Wandflächen, innen vielleicht ein Muster (Tapete oder gewalzt, oder gezeichnet). Auch diese Wortnotizen sind mir wichtig – sie bergen wenig formale Information, aber ich kann auch noch nach langer Zeit sofort eine Vorstellung entwickeln, wenn ich sie lese. Sorgfalt ist ein Wort von Bedeutung für meine Arbeit.

Erst durch die Farbe erhält das Objekt ein gewisses Maß an Zweideutigkeit, sagt Gerold Tusch, und das ist vorstellbar: Wäre das Rosa gelb oder orange, gäbe es andere Assoziationen. Wo die Phantasie ins Weite schweift, gibt der Titel Stichworte zum möglichen Inhalt: zum Beispiel home & garden, 2004, eine über Eck geführte Wandtapete in hellem Grün, Keramikobjekte in leuchtendem Rosa auf grün gepolsterten Konsolen an der Wand und auf hochbeinigen Hockern mit grün gepolsterten Flächen davor, in räumlicher Kombination dazu eine keramische Wandapplikation daneben, nicht nur farblich ist eine gute Partnerschaft gegeben, die beiden Teile führen auch sozusagen einen Dialog miteinander, indem an der Wand rosafarbene, im Kreis geordnete offene Blasen runde Spiegelflächen rahmen, die je nach dem Blickwinkel das Gegenüber und seinen Bereich einbeziehen. Grünfarbene Keramikgitter verbinden diese Spiegelblüten untereinander zu einem Arrangement, der gesamte Raum und seine Besucher sind in dieser Komposition einbezogen. Die Blütenform der Spiegel wiederholt sich als weiße Schablonenform an der grünen Tapetenecke, die rosafarbenen, davor liegenden Keramikobjekte zitieren Körperteile, Hautfalten, Erregungszustände, jedes bietet sich auf seiner grünsamtenen Polsterung den Blicken offenherzig dar, ihre Beziehungen untereinander lassen sie aber nicht näher begreifen, und es scheint auch, als wollten sie nicht angegriffen werden, die Polsterung hingegen fordert zur Berührung heraus

Ton ist ein plastisches, durch Ablagerung entstandenes Gestein, ein Zersetzungs- oder Verwitterungsprodukt, das meist durch Wassertransport auf seiner Lagerstätte abgesetzt worden ist. Er schreibt mir dazu: Ton kaufe ich fertig, homogen, ohne Lufteinschlüsse und mit annähernd gleicher Feuchtigkeit in sogenannten Hubeln zu 10 kg. Was ich häufig verwende ist Ton mit 40 Prozent Schamotte in einer Korngröße bis zu 0,5 mm. Schamotte ist ein Zusatz aus gebrannten und wieder gemahlenen Tonteilchen, die in verschiedenen Größen und Prozentsätzen zum Magern der Masse beigegeben werden. Magerungsmittel sind Stoffe, welche die Plastizität der Mischung verringern, zum Beispiel Sand, Feldspat, Kalkspat, Magnesit und eben Schamotte: Das gibt der Tonsubstanz größeren Halt, bewirkt weniger Schwindung beim Trocknen und Brennen und bedeutet weniger Risiko zur Rißbildung, sagt Gerold Tusch, er nennt das mehr Geduld des Materials. Aus dieser Mischung wird das Objekt geformt, das heißt, es wird aus Wülsten in einer waagrechten Schichtung aufeinander gesetzt, diese werden verstrichen, geschabt, geglättet, geklopft, oder es werden aus Platten, die mit Hilfe eines Nudelwalkers oder einer Plattenwalze entstanden sind, gekrümmte Flächen erzeugt. Die Werkzeuge dazu sind Messer und Leisten, verschiedene Hölzchen zum Modellieren und Versäubern, Blechplättchen zum Schaben und Spachteln, Gummiplättchen zum Glätten, Holzplatten als Unterlagen, Schaumstoffstücke, um Einzelteile zu stützen oder abzulegen. Fast alle Stücke sind innen hohl, einerseits um das Gewicht so gering wie möglich zu halten, andererseits um gleichmäßiges Trocknen zu ermöglichen. Mit Schlicker, einem feuchten Tonbrei, werden die Teile montiert und geklebt, durch Feuchtigkeitsausgleich stellt er eine schnelle und feste Verbindung her. 

Ich glaube, daß ich übersetze, sagt Gerold Tusch, und es drängt sich die Frage auf, ob nicht ein Film die Bewegung, die seine Objekte suggerieren, festhalten könnte, ein widersprüchliches Ansinnen, denn die Bewegung der Objekte ist erstarrt, angehalten, eingebrannt, kein Film könnte sie zum Leben erwecken. Die Serie frames, 2004, spielt mit den Oberflächen einer Wand: frames I und frames II sind keramische Rahmen, die an die Wand mit Musterwalze angebrachte Untermalungen umschnörkeln, frames III und frames IV sind keramische Einfassungen für Polsterungen als eigenständige formale Elemente, die Polsterungen sind nach professioneller Tapezierermanier mit Knöpfen in regelmäßigen Abständen gebändigt, die keramischen Rahmungen jedoch überbieten sich in ihrer Lust an ausschweifender Verzierung. Wegbereitend für diese Beziehungen zu einer Wand ist eine mehrteilige Installation, die schon diverse Ausstellungswände inszeniert hat, der Titel REINE LUST OBJEKTE, 2001, in Versalien geschrieben, verrät nur vordergründig das geheimnisvolle Thema, das um die weitausholenden Bögen kreisen mag. Manche Arrangements in verschiedenen Rosa-Tönen sind schamhaft aufgedreht, andere gebärden sich schamlos und evozieren abwegigste Gedanken, manche der Gebilde geben sich unschuldig ornamental, Bogen hängt sich an Schlinge, mit Blüten, Blättern, Beeren, die Enden sind gelockt, die Lippen gespitzt oder geöffnet, andere geben sich freizügig, zeigen Rippen, präsentieren Rundungen, demonstrieren Intimstes, neigen sich ungeniert zueinander, kokettieren mit sich selbst, die Enden sind prall, gefältelt oder geschraubt, es züngelt auch aus offenem Mund, leckt sich weiter die Wand entlang, will sich im gesamten Raum ausbreiten, und je länger die Betrachterin schaut, desto eindeutiger geht es in dem Schauspiel zu, aber das Bild scheint reine Phantasie zu sein, was da an der Wand zu sehen ist, ist mit ihr fest verbunden, ein selbständiges Ornament, dessen hauptsächliche Aufgabe es ist, seine Rolle als Dekor ausgiebig zu thematisieren und seine Funktion des Überflüssigen zu zeigen. 

Der nächste Schritt in diesem Studium des Überflüssigen sind herkömmliche Polsterungen, auf Möbeln, an Garderoben, in Schatullen, weiters die Befreiung dieser Polsterungen von der ihnen auferlegten Funktion und die Repräsentation ihrer dekorativen und skulpturalen Qualitäten. Er schreibt mir dazu: Ich beschäftige mich gerne mit Dingen, ohne die man gut auskommen kann, und da mich die Frage der Raumausstattung und ihrer Strategien immer wieder beschäftigt, hat sich die Polsterung in diesem Zusammenhang fast aufgedrängt. An der Wand appliziert, aus keramischen Rahmen quellend, als Form verselbständigt, demonstriert sie die Bedeutung eines Kunstwerks: zum Beispiel frames III, 2004, fünf braunsamtene Polsterungen mit je einem Knopf, der sie zurückhält, von rosa glasierter Keramikrahmung eingefaßt und zusammengehalten, bequeme Kopfstützen oder weiche Fingerkuppen, jede Assoziation ist weit hergeholt und kommt einer eindeutigen Definition nicht näher, in der Verlängerung des Bogens, den sie beschreiben, folgt ein länglicher, unregelmäßig geformter und samtüberzogener Polster mit drei Knöpfen, er ist nicht wie die anderen eingefaßt, sondern umrankt von großzügig gebogenen Keramikornamenten. Die Polsterung kann an Polstermöbeln übertriebene Formen annehmen, etwas von dieser Übertriebenheit zeigt dieser unregelmäßige Polsterteil, als sei er ein Teil eines Sofas, eines Kanapees, eines Fauteuils, also eines jener Einrichtungsgegenstände, die zu gemütlicher Ruhe auffordern sollen. Vielleicht sind daran die rosa und die braune Farbe beteiligt, das nachfolgende Werk jedenfalls, frames IV, 2004, geht einen Schritt weiter in der Abgehobenheit als Kunstwerk, indem es auch farblich keine bequeme Wärme ausstrahlt: die Polsterung, eine unregelmäßig konturierte Fläche, ist mit dunkelblauem Samt überzogen, in Knopfheftung diagonal strukturiert, umrahmt von üppig geschwungenen Keramikbögen, diesmal sind sie allerdings – passend zum Stoff – in zartem Blau glasiert, an den Rahmen und in die Polsterung schmiegen sich noch im Kreis gebogene Teile, ein Motiv, das schon in anderen Wandobjekten vorkommt, nur schauen hier Polster aus offenen Blasen. 

Glasur ist ein Gemisch aus einigen bis vielen pulverisierten mineralischen und metallischen Rohstoffen, mit Wasser gemischt und flüssig aufgebracht, also ein glasiger Überzug, der auf einem Scherben – so heißt der durch Brennen entstandene keramische Werkstoff – bei Temperaturen von 850 bis 1450 Grad aufschmilzt. Sie dient zur Farbgebung und Oberflächenbehandlung. Die Temperatur und die Zusammensetzung der Glasur können die Farbe verändern. Er schreibt mir dazu: Glasur ist Farbe, ist Oberfläche, ist Haut. Glasur ist meist glänzend und reflektierend und also stark sichtbar. Andererseits ist sie haptisch so glatt, daß sie auch abstößt, abgleiten läßt an der Oberfläche. Glasur ist Einladung und Verweigerung zugleich. Ich bevorzuge halbtransparente Glasuren, die durch und unter die Haut schauen lassen, ich mag auch Haarrisse, sie sind wie Makel auf dieser Haut. Da Glasur und Scherben chemisch verwandt sind, benetzen sich beide Stoffe gut und haften unlösbar aneinander. Voraussetzung für einwandfreies Haften ist die Übereinstimmung ihrer Wärmeausdehnung. Ist dies nicht gegeben, entstehen Haarrisse, also das Craquelée: Effekte aus Fehlern.

Meine Machenschaften sollen überwuchern, sagt Gerold Tusch, die jeweilige Wand ist der Hintergrund, und so wuchern davor aus weiß glasiertem Keramikarrangement dunkelrote Samtpölsterchen, das sind die Platzhalter für kleine Objekte aus Plüsch und Pelz: Traum-männlein, 2003, so heißt diese Serie, er habe Stofftiere beziehungsweise Teile davon um-genäht, auf diese Weise seien solche Kreaturen entstanden, die blasigen Keramikgebilden entspringen. Das ganze Wandobjekt wächst aus sich heraus, die Wesen aus Plüsch und Pelz scheinen die noch lebenden Teile einer bereits erstarrten Schaumlandschaft zu sein, sie zappeln mit ihren Extremitäten: Beinchen oder Finger, Hals-über-Kopf. Was hier geträumt wird, das bleibt ein Geheimnis. Erinnerungen werden aber wach bei der Installation fifties wardrobe, 2005, entstanden anläßlich einer Ausstellung zum Einfluß Amerikas auf Salzburg in der Nachkriegszeit, eine rund um eine Innenecke gebogene knallrote Wandpolsterung an einer Rauhfasertapete mit Wandmalerei, daran ein länglicher Spiegel mit abgerundeten Ecken aus den 1950er Jahren, an der Garderobe zwei einfache Haken, daran hängend drei hautfarbene Keramikformen, sie stecken in Nylonstrümpfen, die auch als Aufhänger dienen – in doppeltem Sinn: Die Formen sind mit Hilfe der Strümpfe an die Haken geknüpft, und die Strümpfe selbst erinnern an eine der vielbegehrten amerikanischen Errungenschaften Europas in der Nachkriegszeit, von der zum Beispiel gesagt wird: Der Nylonstrumpf hat die Erotik total verändert – das zu einer Zeit, als die durch Bombenschäden zerstörten Stadtteile noch nicht wieder errichtet waren – so auch in Salzburg. Hier unterstreicht das hautfarbene durchsichtige Gewebe die Makellosigkeit der keramischen Form darunter, die Laufmaschen erinnern vielleicht wieder an die zitierte Erotik, machen einerseits die Kurzlebigkeit des Gewebematerials, andererseits die Zerbrechlichkeit der Keramikform sichtbar. Er schreibt mir dazu: Das rot gepolsterte Element steht im Mittelpunkt der Anordnung, und ich kann mir als Ergänzung zur zerbrechlichen Keramik nichts Besseres vorstellen als eine Polsterung. Schutz und Sicherheit sind also nur bedingt gegeben, vor allem wenn billige Nylonstrümpfe beteiligt sind, die repassiert werden müssen. Die rote Farbe der Polsterung hat nicht nur in diesem Sinne Signalwirkung. 

Wo Träume gedeihen, sind auch Erinnerungen nicht weit, in Keramik gegossen und versilbert: zum Beispiel Gloria, 2003, die Wandinstallation kumuliert Wolkenformationen zu Kränzen, Häufchen, Einzelteilen. In der Salzburger Kollegienkirche hat Johann Bernhard Fischer von Erlach in der Apsis eine mit Putten bevölkerte Stuckglorie aus Wolken entworfen, die über die Wandgliederungen und das Gebälk hinweg in die Halbkuppel der Wölbung aufsteigt, die beiden Künstler Diego Francesco Carlone und Paolo d’Allio haben den Entwurf realisiert. Diese die Architektur bedeckende Himmelserscheinung an einem barocken Altar war Vorbild für das silberne Motiv. Meine Objekte sind selten gegossen, sagt Gerold Tusch, nämlich nur dann, wenn die Replik Sinn macht, auch inhaltlich. Der verflüssigte Ton beziehungsweise Gießton wird in eine Matrize aus Gips gefüllt, das getrocknete und gebrannte Produkt wird mit Schlagaluminium versilbert, das ist hauchdünne Aluminiumfolie: Aluminium ist billiger als Blattgold oder Blattsilber und korrodiert nicht, das heißt, sein edler Ausdruck bleibt erhalten. Schlagmetalle werden in einer Art Schmiedeprozeß hergestellt. Als Ausgangsmaterial dienen kleine Stücke von Metallfolie (Gold, Silber, Kupfer oder Aluminium), die von besonderen Maschinen geschlagen werden. Schlag um Schlag erreichen die kleinen Metallstücke dreifache Größe und verringern zugleich ihre Stärke auf ein Achtel der ursprünglichen. Das keramische Objekt wird zuerst mit Schellack überzogen, damit es vollkommen gesperrt ist, das heißt nicht mehr saugfähig, darauf wird eine hauchdünne Schicht Mixtion aufgebracht, das ist ein Anlegemittel der französischen Firma Lefranc, ein Produktname, der allgemein zum Synonym für Anlegemittel geworden ist. Das Blattmetall wird von dieser Oberfläche stark angezogen und hat dann nur mehr mit dem Pinsel geglättet zu werden, ähnlich wie bei der restaurierenden Vergoldung. Er schreibt mir dazu: Die klassische Schule der Keramik verbietet an sich jede Form der kalten Oberflächenbehandlung. Um die Matrize herzustellen, muß zuerst eine sogenannte Patrize geformt werden, das ist das Modell, von dem die Gußform abgenommen wird, man könnte sagen die Urform, sie ist meist aus Ton oder Gips. Die Sprache leitet die Matrize aus dem lateinischen Mutterleib ab – das ist im übertragenen Sinn die Hülle, in der etwas geformt wird – und gibt ihrer Gegenform, der Patrize, die väterliche Rolle: So setzen sich die herkömmlichen Hierarchien selbst in den Handwerken durch.

Ich beziehe mich auf historisches Formengut, überall dort, wo historisches Formengut zum Ausgangspunkt der Arbeit wird, übersetze ich, sagt Gerold Tusch, die Vorbilder lassen sich allerorts finden: an den Fassaden und in den Räumen des Barock und des Klassizismus wächst, rankt, blüht die Stukkatur, in Gärten, auf Terrassenbrüstungen, Dachgesimsen und Stiegenaufgängen der Bauten des europäischen Adels stehen Gefäße aller Art, geschmückt, gefüllt, gedeckt mit vegetabilen Arrangements. Immer wieder hat die Architektur dazu tendiert, ihre Funktionen hinter funktionslosen Ornamenten zu verstecken. Am Ende des 19. Jahrhunderts versuchte Otto Wagner, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden, indem er das Pflanzenornament auf der Fassade zugleich als witterungsunempfindliche Fliesenverkleidung herstellen ließ, mit industriell gefertigten und gebrannten Majolika-Platten. Die Ornamentierung des Funktionellen hat aber damit keinen Schlußpunkt erfahren, die abendländische Architektur dekoriert bis zum heutigen Tag ihre Gebäude an den offensichtlichen Stellen. Fassade und Wand als Kleidung, Verkleidung, ob Stuck, Keramik oder Glas, es gilt, etwas zu verbergen, was dahinter steckt, es gilt, einen Blickfang zu schaffen. Als Blickfang für Architektur dienten über viele Stilperioden hinweg Gefäße in verschiedenen Formen, aus Stein oder Bronze in Galanteriespenglerei ausgeführt, mit Henkel oder ohne, mit Inhalt aus demselben Material: Blumen, Blätter, Obst, Gemüse. Die Vase als Repräsentationsobjekt thematisiert das Schöne, ich will ihre Nutzlosigkeit und ihre Nicht-Benutzbarkeit zeigen. Die Objekte heißen dann zum Beispiel Prunkvasen, 2001-2004, sie sind mit schwarzer Terra sigillata überzogen, sie sind circa 55 bis 75 Zentimeter hoch, sie stehen zu zweit oder zu viert auf hochbeinigen weißen Holztischchen, die Augenhöhe der Betrachterin überragend. Sie stehen auf quadratischen Sockeln, der jeweilige Fußteil ist schlank oder griffig, glatt oder profiliert, hat die Erscheinung einer sich verbreiternden Säule oder selbst eines Behälters. Der Gefäßteil baucht sich breit oder schmal, hoch oder niedrig bis zu seinem Rand, und da quillt es aus der vermeintlichen Öffnung: Blüten, Früchte, Hülsen, Muscheln, Beeren, Tentakel, Morcheln, Zungen, Würstchen. Das gesamte Objekt entsteht in zwei Teilen, Fußteil und Bauchteil werden getrennt modelliert und gebrannt, dem Fassungsvermögen des Brennofens entsprechend, die Garnierungen werden vorher mit Schlicker angefügt. Er schreibt mir dazu: Im Idealfall ist der Schlicker eine homogene Verbindung, nicht eine klebende Substanz dazwischen, und auch wenn manche Details wie zum Beispiel Enden von Arabesken, Überlagerungen von Richtungen und dekorative Garnierungen erst beim Bauen festgelegt werden, sind die Vasen – so wie alle anderen Werke – gezeichnet, allerdings nur von einer Seite, die räumlichen Problemlösungen werden in diesem Format direkt am Objekt geschaffen. Was schon gebrannt ist, wird mit Silikon geklebt, das hat genügend Elastizität und gleicht Unebenheiten aus. Angeblich sind diese Vasen im Gegensatz zu den anderen Objekten am Kunstmarkt beliebt und verkäuflich, was bleibt dem hinzuzufügen? Eine andere Vasen-Serie hat keinen Sockel und keinen Inhalt, hat eine Öffnung und einen Innenraum, allerdings ist dieser aufgebrochen, die Nutzlosigkeit der Funktion wird wieder sichtbar, zum Beispiel: Vase, sich im Dekorum auflösend I – avec plaisier, 2002, sie ist fast weiß, hat einen kugelrunden Bauch, der von runden Löchern durchbrochen ist, sie ist am Kragen und am Henkel mit Spitzen üppig verziert, der Fuß ist standfest und mit gedrehten Schnörkeln garniert, Vase, sich im Dekorum auflösend II, 2005, sie ist rosafarben, hat auch einen kugelrunden, von runden Löchern durchbrochenen Bauch, ein darüber gelegtes Gitter strukturiert diese Löcher in horizontale und vertikale Reihen, der Fuß fließt über, der Henkel ringelt sich, Vase, sich im Dekorum auflösend III, 2005, sie ist beige-gelblich und am wenigsten aufgebrochen, sie hat einen sympathisch verschlossenen Charakter, trägt über dem Körper ein ornamentiertes Gewand, sie hat keinen Henkel, aber eine Art Griff, ihr Fuß besteht aus übereinandergeschichteten muschelartigen Formen, die wie Schälchen erscheinen. Meine Objekte werden nicht gern gekauft, sagt Gerold Tusch, nach den Vasen sei aber Nachfrage, die werden gehen, meint die Repräsentantin des Kunstmarkts, sie erfüllen offenbar das Bedürfnis nach Repräsentationsobjekten. Diese sich auflösenden Vasen zieren im wörtlichen Sinn, und sie zieren sich, und der Titel verweist auf die Sprache: Im Duden wird der Begriff Dekorum als veralterter Ausdruck für Anstand und Schicklichkeit erklärt. 

Und wohin führt der nächste Schritt? Entstehen soll zum Beispiel ein Objekt, das an einen Luster erinnert, ohne aber die Funktion einer Leuchte zu erfüllen. Vorbilder sind verschiedene Luster in verschiedenen Schlössern an der Loire. Er schreibt mir dazu: Mich interessiert die Dekadenz des französischen Adels, auch wenn ich ihr skeptisch gegenüber stehe. Namen habe ich vorläufig noch keinen, es ist ja kein Luster, trotzdem sieht er so aus, und alle werden ihn so nennen, ich selbst tue das auch. Aber was wird er dann sein – ein hängendes Prunkobjekt? Sehr unsichere Informationen also über das Entstehende... Es kann sein, daß so ein Objekt zu Bruch geht. Die Fragilität macht diese Kunst auf spürbare Art delikat, Keramik kann eben zerbrechen: So ist das Leben.


Sigrid Hauser

»Tone, Glasuren, Blendwerke«, in: gerold tusch, in den geschickten Polsterungen der Sinne, Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2006



Sigrid Hauser, Universitätsprofessorin für Architekturtheorie an der Technischen Universität Wien.

Geboren und aufgewachsen in Meran.

Studium der Architektur, Diplom, Dissertation und Habilitation an der Technischen Universität Wien.

Zahlreiche Publikationen zu diversen Themen der Konzeptions- und Rezeptionsästhetik, Schwerpunkte sind Fotografie, Film, Kunst, Literatur und Politik im Zusammenhang mit Architektur